Das OLG Nürnberg entschied mit Beschluss vom 6. Juni 2013 (15 W 764/13), dass der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament gegenüber einem testierunfähigen Ehegatten wirksam ist.
Im zu entscheidenden Fall setzten sich Ehegatten in einem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament im Jahr 1999 gegenseitig zu Erben ein. Die gemeinsamen Kinder sollten im ersten und zweiten Todesfall Zuwendungen erhalten. Zudem war der überlebende Ehegatte verpflichtet, mindestens zwei Drittel des dann noch vorhandenen Vermögens an die gemeinsamen Abkömmlinge zu vererben.
Mitte 2012 wurde für den Erblasser eine befristete Betreuung angeordnet und die Ehefrau als Betreuerin unter anderem für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellt, ersatzweise eine gemeinsame Tochter. Anschließend widerrief die Ehefrau mit notarieller Urkunde gegenüber dem Erblasser, vertreten durch die Ersatzbetreuerin, die von ihr im Ehegattentestament getroffenen Verfügungen in vollem Umfang. Die Tochter nahm den Widerruf als Ersatzbetreuerin an. Nach dem Tod des Ehemannes beantragten die Ehefrau und die Abkömmlinge die Erteilung eines Erbscheines. Das Nachlassgericht wies den Antrag zurück, da es der Auffassung war, das gemeinschaftliche Testament aus dem Jahr 1999 sei nicht wirksam widerrufen worden.
Das OLG Nürnberg kam hingegen zum Entschluss, dass die Erbfolge sich nicht nach dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament von 1999 richtet. Umstände, die gegen eine Wechselbezüglichkeit der gegenseitigen Erbeinsetzung der Ehegatten im ersten Erbfall und in Bezug auf die zugunsten der Abkömmlinge gemachten Verfügungen sprechen, wurden nicht vorgebracht, noch waren diese ersichtlich.
Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen erfolgt gemäß §§ 2271 Abs. 1, 2296 BGB. Nach §§ 130 Abs. 1, 131 Abs. 2 BGB ist nur der Zugang der Willenserklärung maßgeblich.
Verfügungen können demnach auch gegenüber einem Geschäfts- bzw. Testierunfähigen widerrufen werden, mit der Folge, dass dieser nach erfolgtem Widerruf des anderen Ehegatten nicht mit einer neuen Verfügung von Todes wegen nicht reagieren kann. Ansonsten wäre sobald ein Ehegatte geschäfts- bzw. testierunfähig wird, auch dem testierfähigen Ehegatten der Widerruf abgeschnitten und er wäre dann unwiderruflich an seine Verfügungen gebunden. Andererseits entspricht es dem Sinn und Zweck des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB, dass der andere Ehegatte nach Zugang der Widerrufserklärung hierauf sofort reagieren und ein neues Testament errichten kann. Hiergegen spricht allerdings der eindeutige Wortlaut der Vorschrift, der das Erlöschen des Widerrufsrechts ausschließlich an den Tod des Ehegatten anknüpft. Eine Vorverlegung auf andere Zeitpunkte, zum Beispiel auf den der Testierunfähigkeit, bleibt somit kein Raum. Darüber hinaus ist bei ähnlicher Interessenlage gemäß § 2282 Abs. 2 BGB die Möglichkeit der Lösung vom Erbvertrag auch bei Geschäftsunfähigkeit eines Vertragsschließenden ausdrücklich zugelassen.
Der Widerruf gegenüber einem testierunfähigen Ehegatten erfordert den Zugang der Erklärung beim Betreuer als dessen gesetzlicher Vertreter (§ 131 BGB). Die gemeinsame Tochter konnte aufgrund ihrer Bestellung zur Ersatzbetreuerin gemäß § 1902 BGB die Widerrufserklärung ihrer Mutter entgegennehmen. Die Ehefrau als Hauptbetreuerin war gemäß §§ 1908 i, 1795 Abs. 1 Nr. 1, 181 BGB an der Vertretung ihres Ehemannes zur Entgegennahme der Widerrufserklärung gehindert. Die Entgegennahme einer Widerrufserklärung ist keine rechtsgeschäftliche Handlung, von deren Vornahme die Ersatzbetreuerin ausgeschlossen gewesen wäre.