Die Einladung zu einem vom Notar gestatteten Erörterungstermin (Vorgespräch) für ein notarielles Nachlassverzeichnis genügt den Anforderungen des § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht. Vielmehr muss eine Einladung des Pflichtteilsberechtigten gerade zum Termin für die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses erfolgen.
Wird dem Pflichtteilsberechtigen sein Recht auf Anwesenheit bei der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses verwehrt, obwohl er dies eingefordert hat, tritt bei Übergabe des gleichwohl erstellten Verzeichnisses keine Erfüllung gem. § 362 BGB ein. Der Pflichtteilsberechtigte hat dann einen Anspruch auf Wiederholung der Aufnahme.
Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 2. April 2024, 7 O 126/23:
1.
Der Beklagte wird verurteilt, durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses nach § 260 BGB, bei dessen Aufnahme der Kläger hinzugezogen worden ist, Auskunft über den Bestand des realen und fiktiven Nachlasses der am (…) 2017 verstorbenen (…), geborene (…), geboren am (…), zuletzt wohnhaft (…), zum Zeitpunkt ihres Todes nach zu erteilen. Das Verzeichnis muss insbesondere sämtliche beim Erbfall vorhandenen Immobilien, Sachen, Gesellschaftsbeteilligungen und Forderungen (auch im Zusammenhang mit erteilten Vollmachten), Vermögenswerte im Zusammenhang mit dem digitalen Nach- lass, Gegenstände, die sich lediglich im Besitz der Erblasserin befanden, und Nachlassverbindlichkeiten enthalten, und zwar unabhängig von der internationalen Belegenheit der Aktiv- und Passivpositionen und unabhängig von einem materiellen Wert. Auch bedingte, ungewisse und unsichere Rechte sowie zweifelhafte Verbindlichkeiten nach § 2313 BGB sind mitzuteilen.
Es sind alle lebzeitigen unentgeltlichen Zuwendungen der Erblasserin innerhalb von zehn Jahren vor deren Todestag anzugeben (§ 2325 BGB), also insbesondere Schenkungen, gemischte Schenkungen, Erlass von Forderungen (§ 397 BGB), Lebensversicherungen und sonstige Verträge zugunsten Dritter, und zwar stets unter Benennung des Datums des Zuwendungsvollzugs (Eigentumsübergang) und weiterer Umstände. Diese Angaben sind unabhängig von einer Frist zu erteilen, wenn die Erblasserin sich Nutzungsrechte wie einen Nießbrauch oder ein Wohnungsrecht vorbehalten, Widerrufs- oder Rückübertragungsrechte vereinbart hat oder den Gegenstand tatsächlich genutzt hat.
Ebenfalls sind unabhängig von einer Frist sämtliche gemäß §§ 2050 ff. BGB ausgleichungspflichtigen Zuwendungen (Ausstattungen; Zuschüsse zur Verwendung als Einkünfte und Aufwendungen für die Vorbildung zu einem Beruf; bei Bestimmung der Anordnung der Ausgleichung auf den Erbteil, so auch bei vorweggenommener Erbfolge) an Abkömmlinge mitzuteilen.
Der Beklagte hat auch Auskunft zu erteilen über erklärte Erbverzichte möglicher gesetzlicher Erben, gegebenenfalls unter Beifügung der Vertragsurkunde.
2.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht mit seiner Klage Pflichtteilsansprüche gegen den Beklagten geltend und begehrt im Wege der Stufenklage in erster Stufe Auskunft über den Nachlass der am (…) 2017 verstorbenen (…) (im Folgenden „die Erblasserin“) durch Vorlage eines im Beisein des Klägers erstellten notariellen Nachlassverzeichnisses. Die Erblasserin war die Mutter der Parteien und hatte daneben einen weiteren Sohn, der nicht an diesem Rechtsstreit beteiligt ist.
Mit einseitig notariellem Testament vom (…), UR Nr. (…) setzte die Erblasserin den Beklagten als ihren Alleinerben ein. Im Jahr 2010 verstarb der Ehemann der Erblasserin. Nach dem Tod der Erblasserin forderte der Kläger den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom (…) zur Auskunftserteilung über den Nachlass der Erblasserin durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses auf. Der Kläger teilte dem Beklagten in diesem Schreiben und auch darüber hinaus mehrfach mit, er wolle zu der Erstellung des Nachlassverzeichnisses hinzugezogen werden. Im August 2021 beauftragte der Beklagte den Notar (…) mit der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses. Am 29.04.2022 fand eine Besprechung mit dem Notar statt, an dem beide Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten teilnahmen und Hinweise, Empfehlungen, Wünsche und Anregungen dazu mitteilen konnten, in welcher Weise der Notar Nachforschungen zum Nachlass anstellen solle. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.07.2022 und 19.09.2022 erkundigte sich der Kläger beim Beklagten nach dem Stand des notariellen Nachlassverzeichnisses. Mit Schreiben vom 12.10.2022 übersandte der Beklagte ein notarielles Nachlassverzeichnis vom 22.09.2022. Mit anwaltlichem Schreiben vom 30.12.2022 monierte der Kläger die Verletzung seines Anwesenheitsrechts bei der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses und forderte den Beklagten zur Stellungnahme zu einzelnen Punkten des Nachlassverzeichnisses auf. Eine Stellungnahme zu diesen Punkten durch den Beklagten erfolgte nicht.
Der Kläger ist der Auffassung, der ihm zustehende Auskunftsanspruch sei durch das notarielle Nachlassverzeichnis vom 22.09.2022 nicht erfüllt, da dieses nicht in seinem Beisein aufgenommen worden sei.
Der Kläger beantragt in erster Stufe:
Der Beklagte wird verurteilt, durch Vorlage eines im Beisein des Klägers durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses nach § 260 BGB, Auskunft über den Bestand des realen und fiktiven Nachlasses der am (…) 2017 verstorbenen (…) (nachfolgend: die Erblasserin), geborene (…), geboren am (…), zuletzt wohnhaft (…), zum Zeitpunkt ihres Todes nach zu erteilen. Das Verzeichnis muss insbesondere sämtliche beim Erbfall vorhandenen Immobilien, Sachen, Gesellschaftsbeteilligungen und Forderungen (auch im Zusammenhang mit erteilten Vollmachten), Vermögenswerte im Zusammenhang mit dem digitalen Nachlass, Gegenstände, die sich lediglich im Besitz der Erblasserin befanden und Nachlassverbindlichkeiten enthalten, und zwar unabhängig von der internationalen Belegenheit der Aktiv- und Passivpositionen und unabhängig von einem materiellen Wert. Auch bedingte, ungewisse und unsichere Rechte sowie zweifelhafte Verbindlichkeiten nach § 2313 BGB sind mitzuteilen.
Es sind alle lebzeitigen unentgeltlichen Zuwendungen der Erblasserin innerhalb von zehn Jahren vor deren Todestag anzugeben (§ 2325 BGB), also insbesondere Schenkungen, gemischte Schenkungen, Erlass von Forderungen (§ 397 BGB), Lebensversicherungen und sonstige Verträge zugunsten Dritter, und zwar stets unter Benennung des Datums des Zuwendungsvollzugs (Eigentumsübergang) und weiterer Umstände. Diese Angaben sind unabhängig von einer Frist zu erteilen, wenn die Erblasserin sich Nutzungsrechte wie einen Nießbrauch oder ein Wohnungsrecht vorbehalten, Widerrufs- oder Rückübertragungsrechte vereinbart hat oder den Gegenstand tatsächlich nutzte.
Ebenfalls sind unabhängig von einer Frist sämtliche gemäß §§ 2050 ff. BGB ausgleichungspflichtigen Zuwendungen (Ausstattungen; Zuschüsse zur Verwendung als Einkünfte und Aufwendungen für die Vorbildung zu einem Beruf; bei Bestimmung der Anordnung der Ausgleichung auf den Erbteil, so auch bei vorweggenommener Erbfolge) an Abkömmlinge mitzuteilen.
Der Beklagte hat auch Auskunft zu erteilen, über erklärte Erbverzichte möglicher gesetzlicher Erben, gegebenenfalls unter Beifügung der Vertragsurkunde.
Der Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte ist der Auffassung, mit dem Termin vom 29.04.2022 sei das Recht des Klägers auf Hinzuziehung erfüllt. Jedenfalls habe der Kläger keinen Anspruch auf die nochmalige Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf den Akteninhalt, namentlich die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2024 (Bl. 28 ff. d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist in erster Stufe begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten gemäß § 2314 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Kläger hinzugezogen worden ist.
1.
Der Kläger als Pflichtteilberechtigter, der nicht Erbe der Erblasserin ist, hat gegen den Beklagten als deren Alleinerben gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin. Auch kann der Kläger gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 BGB verlangen, dass er bei der Aufnahme des Verzeichnisses der Nachlassgegenstände zugezogen wird und das Verzeichnis durch einen Notar aufgenommen wird.
2.
Der Anspruch des Klägers ist durch Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses vom 22.09.2022 nicht gemäß § 362 BGB erfüllt, da der Kläger bei dessen Aufnahme nicht zugezogen worden ist.
Wird dem Pflichtteilsberechtigen sein Recht auf Anwesenheit verwehrt, obwohl er dies eingefordert hat, tritt bei Übergabe des gleichwohl erstellten Verzeichnisses keine Erfüllung ein. Vielmehr hat der Pflichtteilsberechtigte dann einen Anspruch auf Wiederholung der Aufnahme. Ein nachträgliches Verlangen auf Hinzuziehung erfordert dagegen nur dann die Wiederholung, wenn nicht die §§ 226, 242 BGB entgegenstehen (vgl. OLG ErbR, 2021, 709, 711; OLG Hamm, ErbR 2020, 511, 512; Grüneberg, BGB, 83. Auflage 2024, § 2314 Rn. 6; MüKoBGB/Lange, 9. Aufl. 2022, BGB § 2314 Rn. 61; Burandt/Rojahn/Horn, 4. Aufl. 2022, BGB § 2314 Rn. 65; Demirci in Krug/Horn, Pflichtteilsprozess, 3. Auflage 2022, § 3 Rn. 51).
Vorliegend hat der Kläger sein Recht auf Zuziehung mit Schreiben vom 05.11.2020 gegenüber dem Beklagten geltend gemacht und dies mehrfach vor Vorliegen des Nachlassverzeichnisses wiederholt. Zwar hat der Kläger an dem Termin vom 29.04.2022 bei dem Notar teilgenommen. In diesem Termin haben die Parteien mit dem Notar allerdings lediglich das weitere Vorgehen zu den vom Notar vorzunehmenden Nachforschungen erörtert. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB genügt für die Hinzuziehung jedoch nicht, dass dem Pflichtteilsberechtigten zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses die Anwesenheit beim Notar gestattet wird. Vielmehr muss eine Einladung des Pflichtteilsberechtigten gerade zum Termin für die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses erfolgen (vgl. OLG Köln, ErbR, 2021, 709, 711). Die bloße Einladung zu einem reinen Erörterungstermin genügt mithin den Anforderungen des § 2314 Abs. 1 Satz BGB nicht. Mangels Einladung des Klägers zu einem Termin zur Aufnahme des Nachlassverzeichnisses ist nicht von einem Hinzuziehen des Klägers im Sinne des § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB auszugehen und die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses in Anwesenheit des Klägers zu wiederholen.
II.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits ist dem Schlussurteil vorbehalten. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 ZPO.